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Paläoarchäologie: Schmückten sich die Neandertaler mit Adlerklauen?

Schmückten sich Neandertaler mit Adlerklauen?

Primitivlinge seien die Neandertaler gewesen, nur die kognitiv überlegenen Menschen hätten einen Sinn für Symbolik entwickelt. Darf aber Homo sapiens als alleiniger Erfinder von Kunst- und Schmuckgegenständen gelten? Und starb der Neandertaler auch deshalb aus, weil sein Denk- und Abstraktionsvermögen dem des modernen Menschen nicht ebenbürtig war? Von dieser Vorstellung sind Forscher in den vergangenen Jahren immer mehr abgerückt.

Diese Kralle... | ... wurde im französischen Combe-Grenal gefunden. Vor etwa 90 000 Jahren trennte ein Neandertaler sie vom Körper eines Steinadlers und hinterließ mit seinem Steinwerkzeug deutliche Rillen am oberen Ende der Klaue.

Einen weiteren Beleg dafür, dass Homo neanderthalensis sehr wahrscheinlich zu beachtlichen kognitiven Fähigkeiten in der Lage war, fanden nun der Anthropologe Eugène Morin von der Trent University im kanadischen Peterborough und die französische Archäozoologin Véronique Laroulandie von der Université Bordeaux in Talence. Sie untersuchten Greifvogelklauen aus Frankreich und Italien, die an Siedlungsplätzen des Neandertalers gefunden worden waren und zirka 100 000 bis 44 000 Jahre alt sind – sie gehören damit in eine Zeit, noch bevor Homo sapiens in diese Regionen Europas vordrang.

Schnittspuren in Adlerklauen ... | ... die von Steinwerkzeugen stammen. Die Neandertaler erlegten die großen Greifvögel und trennten die Klauen ab – möglicherweise, um sie für symbolische Handlungen oder als Schmuck zu verwenden, wie der Anthropologe Eugène Morin und die Archäozoologin Véronique Laroulandie argumentieren.

Wie Schnittkerben an den Klauen zeigen, hatte man die Zehenglieder offenbar gezielt mit Steinwerkzeugen abgetrennt. Da sich aber Raubvögel kaum als Nahrungsquelle eignen, so Morin und Laroulandie, dürften die Klauen als Werkzeug oder für symbolische Zwecke verwendet worden sein. Jüngste Entdeckungen deuten auf Letzteres hin: 2011 wiesen italienische Forscher ungewöhnliche Schnittspuren an Vogelflügeln nach. Ihrer Meinung nach hatten sich die Neandertaler mit den großen Schwungfedern geschmückt – und somit einen Sinn für Symbolik entwickelt, lange bevor sie Gelegenheit gehabt hätten, ähnliche Bräuche des modernen Menschen zu kopieren. Die Analysen von Morin und Laroulandie erhärten nun diesen Verdacht.

Bereits 2009 waren in Höhlen an der spanischen Mittelmeerküste Muschelschalen zum Vorschein gekommen, die Forscher als Schmuckstücke interpretierten. Einige der bis zu 50 000 Jahre alten Muscheln durchbohrten die Neandertaler, um sie vermutlich zu einer Kette aufzufädeln, andere wiederum färbten sie mit roten, gelben und schwarzen Pigmenten – lange Zeit bevor der moderne Mensch seinen Fuß auf europäischen Boden setzte.

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